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Exarchia Streetart & Alternatives Viertel in Athen: Reisebericht

Als im Jahre 2008 der 15 Jährige Alexandros Andreas Grigoropoulos in Exarchia, einem Stadtteil Athens, durch 2 Polizisten willkürlich erschossen wurde, war bereits eine globale Wirtschaftskrise in vollem Gange und Griechenland war eines der größten Opfer der weltweiten Rezession.

Der Mord eines Minderjährigen Jungen durch Polizeiwillkür war Auslöser landesweiter Proteste und machte den Stadtteil zum Mittelpunkt einer Postkapitalistischen Bewegung in einem der "krisengebeuteltsten" Länder der Welt. Heute ist der ehemals "gutbürgerliche" Stadtteil Exarchia ein Spiegelbild des Scheiterns der EU als zivile Gemeinschaft, aber auch der freien Wirtschaftsgemeinschaft als Allheilmittel, an das man viele Jahrzehnte bedingungslos innerhalb der Europäischen Grenzen geglaubt hat. 
Heute wird der Stadtteil Tag und Nacht von Bereitschaftspolizei-Geschwadern in gepanzerten Militärfahrzeugen bewacht und gleicht einem "Ost- Berlin" kurz nach dem Mauerfall. Alle Wände und Fassaden sind mit Schriftzügen, Manifesten und Graffi übersät und viele ehemalige Geschäfte sind besetzt oder aufgelassen.
Als ob es sie "verhänseln" wolle, grenzt Exarchia ans Regierungsviertel, Bankenviertel und "Schickeria-Viertel Kolonaki" an, welche bereits ihre besten Zeiten hinter sich haben, aber zum Schein für die vielen Millionen Touristen und für die wohlhabende Minderheit der Großstadt, als Fassade aufrecht erhalten werden.
Die Hunderudel von wilden Streunern interessiert das relativ wenig während sie gemütlich über die Straßen von einem Viertel ins andere Wechseln um sich im Schatten der Luxuspassagen auszuruhen. Auch die Anarchistischen Protestmärsche welche sich regelmäßig von Exarchia aus mit einer Spur der Verwüstung durch die Luxusviertel der Innenstadt bahnen, haben sich die letzten Statussymbole der Stadt zum Feindbild auserkoren, da sie für den Großteil der Griechen nach all den Entbehrungen aufgrund der anhaltenden Krise wie ein Hohn wirken. 

Korruption und Vetternwirtschaft haben vermutlich auch Ihren Teil zu den Missständen im Land und zur Empörung eines Großteils der Griechen beigetragen. So trete ich meine Griechenland Reise im Sommer 2018 an, während verheerende Waldbrände im Süden des Landes mit über 100 Toten wüten. Eine brodelnde Mischung verursacht aus den Folgen des Klimawandels und durch Urbanistische Spekulation mit Brandstiftung. Während die letzten Rauchschwaden, der mittlerweile erloschenen Brände, über Athen abziehen, beziehe ich mein Quartier in Exarchia. Dieses vielzitierte, vielgehasste und vielfältige Viertel welches mich für die nächste Zeit in seinen Bann ziehen wird.
Trotz des anfänglich verwahrlosten Eindrucks, scheint es keinen Quadratzentimeter zu  geben, der nicht vor Kreativität und Hoffnung strotzt. Dies konnte ich bei meinem einwöchigen Besuch während meiner Griechenlandreise im August 2018 eigenhändig feststellen. Die verwinkelten Arkaden und Straßen Exarchias, welche sich zum Stadtberg "Lykavittos" hochziehen sind mit myriaden von Politischen und Kulturellen Manifesten überzogen. Die Straßenkunst hat sich hier zu wahrer Höchtstform entwickelt und man kann regelrechte Meisterwerke entlang der bröckelnden Hausfassaden entdecken.

Kreativität, ursolide Ethik & Kultur: so treten einem die Griechen in Exarchia entgegen

Es gibt keinen unnötigen Luxus in den wenigen Läden welche hier noch überleben, aber die vielen Buchläden und Schreibwaren zeugen von einem hohen Interesse an Kultur und Bildung. Dies wird mir auch bei zahllosen Gesprächen mit den Einwohnern des Stadtviertels bewusst.
Da es August ist und die Wohnviertel trotz Krise beinahe menschenleer, kommt man einfach mit den wenigen "Dagebliebenen" hier im Viertel ins Gespräch. In den unzähligen kleinen Straßenkaffees und Bars, welche sich meist sehr improvisiert und als Sozialverein arrangieren treten einem die Griechen mit ihrer aufgeschlossenen und freudigen Art entgegen. Es sind immer wieder Geschichten welche von großen Schwierigkeiten aber auch von großer Lebensfreude und der Kunst "sich neu zu erfinden" zeugen, welche mich in solchen Orten faszinieren. Besonders die Griechen sind Herren der Hohen Kunst des Lebens. Eine grundsolide Ethik und ein umfassendes Allgemeinwissen lässt mich hier sprachlos, aber es überrascht auch nicht hier in der Wiege der Demokratie. Und so versuchen die Griechen auch ihrer aktuellen Situation das Beste abzugewinnen. Auch wenn viele Gerüchte und Verschwörungstheorien kursieren, ganz ähnlich wie in der aktuellen "Corona Krise", so gibt es jede Menge spannende Lösungsansätze und soziales Engagement.

Guerilla Gärten wechseln sich mit "Open Air Kinos" und besetzten "Sozialen Zentren" ab. In den vielen improvisierten Kneippen und Küchen kann man relativ preiswert genüsslich Essen und Trinken, inklusive des unverzichtbaren Ouzos. Man merkt natürlich auch hier schon die schleichende "Gentrifizierung", an welcher ich durch meinen Besuch natürlich auch beitrage, aber sie ist noch im Anfangsstadium und man wird überall mit offenen Armen empfangen. Das Problem der "Gentrifizierung" welches von vielen Einheimischen schon mit einem kritischen Auge begutachtet wurde, dürfte sich mit der aktuellen "Corona Krise" und drausfolgenden Reiseeinschränkungen ohnehin vorerst erledigt haben...

Im Gegenteil, zwei Jahre nach meiner Griechenland Reise mit der aktuellen Weltlage, habe ich eher das Gefühl, dass sich viele Städte und Gemeinden in neue "Exarchias" verwandeln werden. Der wirtschatliche Verfall zahlloser Kleinbetriebe und der langsame Abstieg des Mittelstands wird vielfältige Szenarien hervorbringen. Dabei wäre Exarchia noch ein Glücksfall und darf sogar als Modell gesehen werden. Denn nur Gemeinsam und mit sozialem Engagement kommen wir aus diesem Schlammassel.

So war auch Athen bereits seit 2008 eine kleine Vorschau für die Welt von Morgen. Schaut man aber etwas tiefer, bietet die Stadt trotz vieler Probleme und Sorgen, viel Hoffnung und Optimismus, so blau wie die Griechische Flagge oder der Himmel über der Akropolis. Und während sich die wohlgenährten Touristenmassen um die antiken Ruinen im Zentrum von Athen tümmeln, meiden sie mit entsetzten Blicken die Stadtviertel welche sich direkt ans Zentrum der Hauptstadt säumen. Sozialem Elend, Augenscheinlichem Drogenkonsum und offensichtlichen Missständen, will man Allgemein und besonders im Urlaub ja einfach gerne aus dem Weg gehen. Man kann aber nicht an der Schönheit dieser Welt teilhaben indem man Schwierigkeiten und Missstände einfach unter den Teppich kehrt. Um wahre Schönheit zu sehen, muss man hinsehen. Den Schrecken und der Angst in die Augen schauen, denn sieht man immer nur weg, holt einen die Welt irgendwann ein, so wie es durch die aktuelle Krise gerade der Fall ist. Zu lange hat der Westen an einer Fassade aus "Pump und Entertainment" gearbeitet welche durch die anhaltende "Coronakrise" unwiderruflich ins Bröckeln geraten ist. Ich hoffe, dass wir uns nach unserem "Hausarrest" alle wieder etwas mehr auf die marginalen Schönheiten der Welt konzentrieren und die kleinen Freuden am Rande der Gesellschaft entdecken, denn wir alle werden näher an diesen Rand gerückt sein.

Anstatt Massenurlaub über Kreuzfahrtschiffe auf überlaufenen Urlaubsinseln wie "Santorini" zu planen, wo unterbezahlte Arbeitskräfte, Koffer und Lebensmittel 7 Tage die Woche über steile Treppen hieven, empfehle ich jedem besinnlichere Destinationen zu suchen. Ein Spaziergang durch die Straßen von Exarchia mit gemächlicher Kaffeepause, Buchlektüre und anschließendem Erklimmen des Stadtbergs "Lykavittos" wäre eine solche Alternative. Beim Erklimmen des Hausbergs wird man von einer atemberaubenden Aussicht auf die Zeitlose Schönheit der Hauptstadt belohnt und wird vielleicht daran erinnert, dass die wirklichen Schönheiten oft ganz Nahe und im Unscheinbaren verborgen liegen.

 

 

Simon Margesin